04.07.2008, 17:02
ZEIT ONLINE 05/2003 S. 23 [http://www.zeit.de/2003/05/Aging]
[SIZE="4"]Alternde Gesellschaft
Das Projekt Unsterblichkeit[/SIZE]
Da der Text Uhrig lang ist hab ich ihn mal verpackt!
Ich finde es generell gut in diese Richtung zu forschen aber ist es nicht ein wenig problematisch, wenn alle Menschen so viel länger leben (Überbevölkerung etc.)
Obwohl ich es begrüßen würde wenn ich laaaange Zeit zu leben hätte!
Also heißt es hungern und Orangen essen
Und vill bekomme ich ja doch noch meine Unsterblichkeit§nyar
[SIZE="4"]Alternde Gesellschaft
Das Projekt Unsterblichkeit[/SIZE]
"Der Tod ist unvermeidlich. Doch das Leben kann im Labor bereits verlängert werden"
Der Tod ist unvermeidlich. Doch das Leben kann im Labor bereits verlängert werden
Von Ulrich Bahnsen
Kurz vor 80 ist selbst für Loriot Schluss mit lustig. Die Altersgebrechen nerven. Nicht einmal der Wein schmeckt besser. Der beschauliche Lebensausklang sei bloß eine Illusion, urteilte der Meister des feinsinnigen Unsinns im SZ-Magazin: „Altern ist eine Zumutung!“ Mit seinem düsteren Fazit steht Vicco von Bülow nicht allein. Nichts hat der Mensch, seit er vor 100000 Jahren Bewusstsein erlangte und dafür zugleich mit dem Wissen um seine Sterblichkeit gestraft wurde, ebenso verbissen, verzweifelt und erfolglos bekämpft wie die unaufhaltsame Vergänglichkeit. Alter und Tod gelten als die ewige Demütigung, die unverzeihliche Kränkung des Menschengeschlechts. Von den längst vergessenen Schamanen der Steinzeithöhlen, über die chinesischen Kaiser bis zu den Alchemisten des Mittelalters – durch die Jahrtausende hofften die Menschen, ein Elixier zu finden, das Unsterblichkeit verleiht, einen Jungbrunnen der dauernden Jugend. Wie die Versuche ausgingen, ist bekannt. © ZEIT-Grafik
Solange nichts anderes fruchtet, setzt der Mensch den Aufstand gegen den Sensenmann mit metaphysischen Mitteln fort – er schützt sich gegen das Unerträgliche mit der Religion, dem Glauben an Seelenwanderung, Auferstehung und ewiges Leben im Jenseits. Der Erfolg solch spiritueller Anstrengungen ist indes schwer nachprüfbar, und so geht die Revolte gegen das scheinbar unabwendbare Diktat der Evolution weiter – nun mit den Mitteln der modernen Biowissenschaft.
Inzwischen haben Genfahnder, Zellforscher und Hormonexperten dem Alterungsprozess so manches Geheimnis entrissen. Verflogen ist dabei die einstige Gewissheit, dass die von der Evolution zudiktierte äußerste Lebensspanne unveränderbar sei. „Altern ist keine gottgegebene Unausweichlichkeit, man kann es kontrollieren und ändern“, behauptet der kalifornische Genetiker Michael Rose. Von der Unsterblichkeit reden die Fachleute zwar nur im Spaß, doch viele sind überzeugt, dass die Dauer menschlichen Lebens verlängert werden kann und künftig auch wird. Selbst Pillen gegen die Vergreisung gelten nicht länger als Utopie. Die Lebenserwartung, meint Rose, sei durch „nichts begrenzt als die menschliche Technologie“.
Zwar ist noch immer weithin rätselhaft, worin jener Prozess im Organismus eigentlich besteht, der alle Lebewesen altern lässt, bis sie sterben. Welche Gesetze der Biologie, grübeln die Gelehrten, lassen manche Fliegen binnen Stunden verenden, gewähren wenigen Menschen bis zu 120 Jahre in Gesundheit und lassen kalifornische Sequoia-Bäume 4000 Jahre dem Tod trotzen? Tickt irgendwo in den Regelkreisen der Gene, im Räderwerk des Stoffwechsels eine biologische Uhr, die aus eigener Kraft das Menschenleben begrenzt? Oder sind Altern und Tod nur die Folge von Abnutzung, von – auch bei scheinbar Gesunden – verborgen schwelenden Krankheiten, die schließlich zum Exitus führen?
Auch wenn solch eher philosophische Fragen der Beantwortung harren – in den Labors der Altersforscher hat die Vergreisung erste Niederlagen erlitten. Könnte man den Menschen so einfach züchten wie Fliegen, seine Gene so leicht verändern wie bei Würmern oder Mäusen, die 200-Jährigen wären schon unter uns. Selbst Pillen gegen die Seneszenz gelten den Experten nicht länger als Utopie. „Noch sind wir nicht so weit, auch beim Menschen einzugreifen“, sagt der Genetiker Leonard Guarente vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, „aber wir haben jeden Grund zur Hoffnung.“
Das einfachste Zaubermittel zur persönlichen Lebensverlängerung heißt Hungern. Schon durch eine dauernde Mangeldiät, das zeigen Experimente mit verschiedenen Tierarten, lässt sich der Tod hinauszögern. Weil die Stoffwechselraten und damit auch der so genannte oxidative Stress im Organismus abnehmen, geben die Experten dem Konzept Erfolgsaussichten – die Sache funktioniert angeblich sogar bei Affen und vermutlich auch bei Menschen. Allerdings hat das Ganze seinen Preis: Die Mangelernährung kann zur Unfruchtbarkeit führen. Außerdem: Wer will eigentlich 100 werden, nur um 100 Jahre zu hungern?
Altern durch Stoffwechselgift?
Doch in Forschungsstätten wie dem kalifornischen Buck Institute for Age Research und beim US-Unternehmen Eukarion hat die Suche nach komfortableren Mitteln zur Lebensverlängerung längst begonnen. Erste Substanzen werden in ihren Labors schon auf ihre Verwendungsfähigkeit getestet. Die von Buck und Eukarion entwickelten so genannten synthetic catalytic scavengers (SCS) wirken als eine Art Supervitamin C. Sie unterstützen die natürlichen Entgiftungsenzyme des Körpers dabei, aggressive Stoffwechselprodukte unschädlich zu machen. Denn die Stoffwechselgifte reagieren chemisch mit Eiweißen und Genen der Zellen, und dieser oxidative Stress gilt als eine Triebkraft der Zellalterung. Schon der legendäre Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling suchte dieser Gefahr zu wehren, indem er gewaltige Dosen des antioxidativen Vitamins C verschlang. Dass Pauling erst im gesegneten Alter von 93 starb, führen Skeptiker allerdings eher auf seine unverwüstliche Natur zurück, die selbst die Vitamin-Rosskur unbeschadet überstanden habe. Bis heute ist umstritten, ob unnatürlich hohe Mengen von antioxidativen Vitaminen wie C oder E gegen Arteriosklerose, Krebs oder Zellalterung schützen können.
Spektakuläre Wirkung zeigten dagegen die von Eukarion entwickelten Oxidationsbremsen in ersten Tierversuchen: Würmer, an die der Buck-Forscher Simon Melov die Wirkstoffe verfütterte, lebten fast 50 Prozent länger als ihre auf Normaldiät gesetzten Artgenossen. Aus einer Utopie schien über Nacht Realität geworden zu sein: Erstmals hatten Forscher nachgewiesen, dass die Lebensverlängerung per Pille im Prinzip gelingen kann. Auch Mäusen bescherte Melov einen Aufschub – bekamen sie den SCS-Wirkstoff EUK-189 ins Futter gemischt, lebten sie dreimal länger als sonst. Allerdings hatte Melov mit genmanipulierten Mäusen experimentiert, denen ein Entgiftungsenzym (SOD2) gegen Oxidationsstress fehlt – und diese sterben normalerweise binnen einer Woche an Krankheiten, die menschlichen Neurodegenerationsleiden ähneln. Voller Spannung erwarten die Gelehrten nun die nächsten Ergebnisse der Forscher von Buck und Eukarion – deren Testreihen sollen Aufschluss geben, ob auch normale Labormäuse mit der Lebenspille im Futtertrog der Altersschwäche entrinnen.
Doch nicht nur in Stoffwechselprozessen, auch in den Gen-Netzwerken der Zelle haben die Forscher erste Teile des Alterungsprozesses aufgespürt. Gleichsam auf Knopfdruck, nur durch die gezielte Ausschaltung einzelner Gene für Wachstum und Energiestoffwechsel, können die Genetiker dem natürlichen Tod von Würmern, Fliegen und Mäusen Einhalt gebieten. Den jüngsten Etappensieg gegen das Alter meldeten französische Genetiker im Dezember im Fachblatt Nature. Um ein Viertel schnellte die Lebenserwartung ihrer Versuchstiere empor, nachdem Martin Holzenberger und seine Kollegen eine von zwei Kopien des Gens IGF-1R (Insulin-like Growth-Factor 1 Receptor) im Erbgut der Mäuse außer Gefecht gesetzt hatten.
Der Befund passt exakt ins Bild bisheriger Erkenntnisse. IGF-1R reguliert Stoffwechsel und Wachstum und ist ein enger genetischer Verwandter der Wurm- und Insektengene InR und Daf-2, mit deren Manipulation andere Forscher schon zuvor hyperalte Fliegen und Fadenwürmer gezüchtet hatten. Diese winzigen Würmer leben normalerweise nur zwei Wochen; doch als Cynthia Kenyon von der University of California das Daf-2-Gen ausschaltete, erlebte sie eine Überraschung: Ohne Daf-2 wurden die Würmer doppelt so alt. Die Forscherin taufte es „Sensenmann-Gen“.
Seither gilt als bewiesen, dass die Lebensspanne aller Tiere, auch des Menschen, unter der Herrschaft der Gene steht. Dass genetische Programme die Lebenszeit diktieren, hatte als Erster Michael Rose mit einem genialen Experiment bewiesen. Er räumte in seinen Fliegenkäfigen stets die frisch gelegten Eier fort – so lange, bis die meisten Tiere vergreist und impotent waren. Nur die letzten fruchtbaren Exemplare, die dem Alter getrotzt hatten, durften sich fortpflanzen. Mit deren Nachkommen wiederholte Rose das Spiel immer wieder. Am Ende hatte der kalifornische Genetiker eine besondere Rasse im Käfig: „Es sind Superfliegen“, sagt er stolz.
Methusalemgene im Erbgut
„Sie sind kräftiger, widerstandsfähiger und noch völlig gesund, wenn normale Fliegen längst auf dem letzten Loch pfeifen.“ Die Evolution, deren Wirken er mit seinem Züchtungsexperiment simuliert hatte, „könne die Muster des Todes neu ordnen“, folgerte Rose, das Sterben sei nicht zwangsläufig. Sein Befund, 1991 veröffentlicht, markierte eine Zeitenwende. Aus dem bis dahin desperaten Feld der Altersforschung, dem „Felsen, an dem Forscher ihre Karrieren zerschmetterten“ (Rose), wurde über Nacht eines der heißesten Forschungsgebiete der Biologie.
So durchforsteten die US-Genetiker Annibale Puca und Thomas Perls die Erbanlagen von 308 Hochbetagten aus 137 Familien nach Methusalem-Genen. Einen ersten Erfolg können die Forscher bereits verbuchen: Eine Genvariante, die den Uralten ihr außergewöhnlich langes Leben schenkt, muss in einer kleinen Region auf dem Chromosom vier versteckt liegen.
Warum aber das Leben zwangsläufig endlich ist, weiß die Forschung immer noch nicht. Sind Leben und Tod doch so untrennbar verwoben, dass der Kampf gegen den Verfall nur zu einem Pyrrhussieg führen kann? Keineswegs, lautet die hoffnungsfrohe Antwort der Altersforscher, die Evolution verlange gar nicht, dass wir sterben – sie hat für Unsterbliche nur keine Verwendung. Im Prozess von Mutation und Auslese werden Erbanlagen gefördert, die ein Lebewesen gesund erhalten, bis es sich fortgepflanzt hat. Doch ob die biologische Hülle der Gene danach noch weiterexistiert und in welcher Verfassung, spielt im Evolutionsgeschehen keine Rolle mehr. „Wenn wir leben – fein, wenn wir sterben – auch fein“, schrieb das US-Magazin Wired , „meist aber folgt der Verfall.“
Wirklich? Auch ohne Handreichung der Bioforscher scheint der Mensch auf dem Weg zur Methusalem-Rasse. Rekordalte, wie die Französin Jeanne Calment, die mit 122 Jahren, 5 Monaten und 14 Tagen starb („Ich habe nur eine Falte, auf der sitze ich“), oder die 116-jährige Chinesin und jetzige Topgreisin Du Pinhua sind noch seltene Ausnahmen. Doch das wird nicht so bleiben, prophezeien der Rostocker Altersexperte Max Vaupel und sein britischer Kollege Jim Oeppen. Seit 1840 steige die Lebenserwartung der Menschheit jährlich um drei Monate, rechneten die Demografen in Science vor. 40 Jahre habe die Menschheit seither gewonnen; ein Ende der Lebensverlängerung sei nicht in Sicht.
Dabei hat es in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, dem Menschenleben ein statistisch abgesichertes oberes Limit zu setzen. Der US-Forscher Louis Dublin prophezeite 1928 eine maximale Lebenserwartung von 64, 75 Jahren, „im Lichte gegenwärtigen Wissens und ohne den Einfluss radikaler Erfindungen oder fantastischer evolutionärer Veränderungen unserer Physiologie, die anzunehmen wir keinen Grund haben“. Damals betrug die US-Lebenserwartung 57 Jahre. Mit ähnlicher Methodik wiederholten Jay Olshansky und seine Kollegen den Versuch, das Ende der Fahnenstange zu beziffern. Sie landeten Anfang der neunziger Jahre bei 85 Jahren maximaler durchschnittlicher Lebenserwartung des Menschen. Beide Prognosen, notieren Vaupel und Oeppen süffisant, seien bereits wenige Jahre nach ihrer Veröffentlichung von der Realität überholt worden.
„Blind“ hingen die Kollegen der Zunft „der veralteten Vorstellung an, dass dem Menschen auch unter besten Bedingungen eine charakteristische Lebensspanne“ zugemessen sei, klagen die beiden Experten. Doch der beispiellose Altersanstieg erfolge völlig linear, nirgendwo seien Anzeichen für eine Abflachung der Zuwachsrate erkennbar. Bereits um 2060 dürfte die durchschnittliche Lebensdauer die 100-Jahre-Grenze durchstoßen, versprechen die Forscher. Damit käme man der Obergrenze von rund 120 Jahren, die bislang in der Altersforschung als biologisches Limit für das Menschenleben angesehen wird, bedenklich nahe.
Wie erstrebenswert aber ist die Hoffnung auf den 100. Geburtstag angesichts der Gefahr von Krebs, Demenz oder Schlaganfall? „Jeder will lange leben, bloß alt werden will keiner“, spottete schon der britische Schriftsteller Jonathan Swift. Im Lichte der Altersprognosen regt sich allenthalben die Befürchtung, schon bald könnten halbe Generationen als Pflegefälle in den Altersheimen verdämmern. Doch auch hier könnten die Skeptiker Unrecht behalten. Zwar nimmt der Anteil der Morbiden und Moribunden mit dem Alter ständig zu, bis jenseits der 60 die Todesrate durch Tumoren, Alzheimer und andere Altersleiden einen Höhepunkt erreicht. Doch wer das Alter von 95 Jahren einigermaßen gesund erreicht, das zeigen die Statistiken, besitzt meist genügend Härte, um auch die nächsten 20 Jahre im Vollbesitz der körperlichen Kräfte durchzustehen. So viel Ausdauer, mutmaßen die Fachleute, könnte durchaus vererbt sein. Denn auch die Kinder von 100-Jährigen leiden, sobald sie selbst ins hohe Alter kommen, nur halb so oft unter Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Diabetes und Übergewicht wie ihre Altersgenossen.
Wer nicht das Glück hat, aus einer Familie von 100-Jährigen zu stammen, dem bleibt vorerst nur die Hoffnung, durch gesunde Ernährung, Sport und zwei Glas Rotwein am Abend Altersleiden wie Diabetes oder Herzinfarkt vorbeugen zu können. Allerdings schützt man sich so eher vor vermeidbaren Erkrankungen. Die Hoffnung, dass durch einen gesunden Lebensstil auch die Uhr des Alterns langsamer ticke, ist eher trügerisch.
Wem all diese Bemühungen übertrieben erscheinen, der mag sich mit dem amerikanischen Komiker George Burns trösten. Gefragt, ob sein Hausarzt eigentlich von seiner ständigen Zigarrenraucherei wisse, demonstrierte Burns einst souveräne Verachtung der medizinischen Erkenntnislage. „Nein“, erwiderte der fast 100-Jährige, „der arme Kerl ist längst tot.“
Von Ulrich Bahnsen
Kurz vor 80 ist selbst für Loriot Schluss mit lustig. Die Altersgebrechen nerven. Nicht einmal der Wein schmeckt besser. Der beschauliche Lebensausklang sei bloß eine Illusion, urteilte der Meister des feinsinnigen Unsinns im SZ-Magazin: „Altern ist eine Zumutung!“ Mit seinem düsteren Fazit steht Vicco von Bülow nicht allein. Nichts hat der Mensch, seit er vor 100000 Jahren Bewusstsein erlangte und dafür zugleich mit dem Wissen um seine Sterblichkeit gestraft wurde, ebenso verbissen, verzweifelt und erfolglos bekämpft wie die unaufhaltsame Vergänglichkeit. Alter und Tod gelten als die ewige Demütigung, die unverzeihliche Kränkung des Menschengeschlechts. Von den längst vergessenen Schamanen der Steinzeithöhlen, über die chinesischen Kaiser bis zu den Alchemisten des Mittelalters – durch die Jahrtausende hofften die Menschen, ein Elixier zu finden, das Unsterblichkeit verleiht, einen Jungbrunnen der dauernden Jugend. Wie die Versuche ausgingen, ist bekannt. © ZEIT-Grafik
Solange nichts anderes fruchtet, setzt der Mensch den Aufstand gegen den Sensenmann mit metaphysischen Mitteln fort – er schützt sich gegen das Unerträgliche mit der Religion, dem Glauben an Seelenwanderung, Auferstehung und ewiges Leben im Jenseits. Der Erfolg solch spiritueller Anstrengungen ist indes schwer nachprüfbar, und so geht die Revolte gegen das scheinbar unabwendbare Diktat der Evolution weiter – nun mit den Mitteln der modernen Biowissenschaft.
Inzwischen haben Genfahnder, Zellforscher und Hormonexperten dem Alterungsprozess so manches Geheimnis entrissen. Verflogen ist dabei die einstige Gewissheit, dass die von der Evolution zudiktierte äußerste Lebensspanne unveränderbar sei. „Altern ist keine gottgegebene Unausweichlichkeit, man kann es kontrollieren und ändern“, behauptet der kalifornische Genetiker Michael Rose. Von der Unsterblichkeit reden die Fachleute zwar nur im Spaß, doch viele sind überzeugt, dass die Dauer menschlichen Lebens verlängert werden kann und künftig auch wird. Selbst Pillen gegen die Vergreisung gelten nicht länger als Utopie. Die Lebenserwartung, meint Rose, sei durch „nichts begrenzt als die menschliche Technologie“.
Zwar ist noch immer weithin rätselhaft, worin jener Prozess im Organismus eigentlich besteht, der alle Lebewesen altern lässt, bis sie sterben. Welche Gesetze der Biologie, grübeln die Gelehrten, lassen manche Fliegen binnen Stunden verenden, gewähren wenigen Menschen bis zu 120 Jahre in Gesundheit und lassen kalifornische Sequoia-Bäume 4000 Jahre dem Tod trotzen? Tickt irgendwo in den Regelkreisen der Gene, im Räderwerk des Stoffwechsels eine biologische Uhr, die aus eigener Kraft das Menschenleben begrenzt? Oder sind Altern und Tod nur die Folge von Abnutzung, von – auch bei scheinbar Gesunden – verborgen schwelenden Krankheiten, die schließlich zum Exitus führen?
Auch wenn solch eher philosophische Fragen der Beantwortung harren – in den Labors der Altersforscher hat die Vergreisung erste Niederlagen erlitten. Könnte man den Menschen so einfach züchten wie Fliegen, seine Gene so leicht verändern wie bei Würmern oder Mäusen, die 200-Jährigen wären schon unter uns. Selbst Pillen gegen die Seneszenz gelten den Experten nicht länger als Utopie. „Noch sind wir nicht so weit, auch beim Menschen einzugreifen“, sagt der Genetiker Leonard Guarente vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, „aber wir haben jeden Grund zur Hoffnung.“
Das einfachste Zaubermittel zur persönlichen Lebensverlängerung heißt Hungern. Schon durch eine dauernde Mangeldiät, das zeigen Experimente mit verschiedenen Tierarten, lässt sich der Tod hinauszögern. Weil die Stoffwechselraten und damit auch der so genannte oxidative Stress im Organismus abnehmen, geben die Experten dem Konzept Erfolgsaussichten – die Sache funktioniert angeblich sogar bei Affen und vermutlich auch bei Menschen. Allerdings hat das Ganze seinen Preis: Die Mangelernährung kann zur Unfruchtbarkeit führen. Außerdem: Wer will eigentlich 100 werden, nur um 100 Jahre zu hungern?
Altern durch Stoffwechselgift?
Doch in Forschungsstätten wie dem kalifornischen Buck Institute for Age Research und beim US-Unternehmen Eukarion hat die Suche nach komfortableren Mitteln zur Lebensverlängerung längst begonnen. Erste Substanzen werden in ihren Labors schon auf ihre Verwendungsfähigkeit getestet. Die von Buck und Eukarion entwickelten so genannten synthetic catalytic scavengers (SCS) wirken als eine Art Supervitamin C. Sie unterstützen die natürlichen Entgiftungsenzyme des Körpers dabei, aggressive Stoffwechselprodukte unschädlich zu machen. Denn die Stoffwechselgifte reagieren chemisch mit Eiweißen und Genen der Zellen, und dieser oxidative Stress gilt als eine Triebkraft der Zellalterung. Schon der legendäre Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling suchte dieser Gefahr zu wehren, indem er gewaltige Dosen des antioxidativen Vitamins C verschlang. Dass Pauling erst im gesegneten Alter von 93 starb, führen Skeptiker allerdings eher auf seine unverwüstliche Natur zurück, die selbst die Vitamin-Rosskur unbeschadet überstanden habe. Bis heute ist umstritten, ob unnatürlich hohe Mengen von antioxidativen Vitaminen wie C oder E gegen Arteriosklerose, Krebs oder Zellalterung schützen können.
Spektakuläre Wirkung zeigten dagegen die von Eukarion entwickelten Oxidationsbremsen in ersten Tierversuchen: Würmer, an die der Buck-Forscher Simon Melov die Wirkstoffe verfütterte, lebten fast 50 Prozent länger als ihre auf Normaldiät gesetzten Artgenossen. Aus einer Utopie schien über Nacht Realität geworden zu sein: Erstmals hatten Forscher nachgewiesen, dass die Lebensverlängerung per Pille im Prinzip gelingen kann. Auch Mäusen bescherte Melov einen Aufschub – bekamen sie den SCS-Wirkstoff EUK-189 ins Futter gemischt, lebten sie dreimal länger als sonst. Allerdings hatte Melov mit genmanipulierten Mäusen experimentiert, denen ein Entgiftungsenzym (SOD2) gegen Oxidationsstress fehlt – und diese sterben normalerweise binnen einer Woche an Krankheiten, die menschlichen Neurodegenerationsleiden ähneln. Voller Spannung erwarten die Gelehrten nun die nächsten Ergebnisse der Forscher von Buck und Eukarion – deren Testreihen sollen Aufschluss geben, ob auch normale Labormäuse mit der Lebenspille im Futtertrog der Altersschwäche entrinnen.
Doch nicht nur in Stoffwechselprozessen, auch in den Gen-Netzwerken der Zelle haben die Forscher erste Teile des Alterungsprozesses aufgespürt. Gleichsam auf Knopfdruck, nur durch die gezielte Ausschaltung einzelner Gene für Wachstum und Energiestoffwechsel, können die Genetiker dem natürlichen Tod von Würmern, Fliegen und Mäusen Einhalt gebieten. Den jüngsten Etappensieg gegen das Alter meldeten französische Genetiker im Dezember im Fachblatt Nature. Um ein Viertel schnellte die Lebenserwartung ihrer Versuchstiere empor, nachdem Martin Holzenberger und seine Kollegen eine von zwei Kopien des Gens IGF-1R (Insulin-like Growth-Factor 1 Receptor) im Erbgut der Mäuse außer Gefecht gesetzt hatten.
Der Befund passt exakt ins Bild bisheriger Erkenntnisse. IGF-1R reguliert Stoffwechsel und Wachstum und ist ein enger genetischer Verwandter der Wurm- und Insektengene InR und Daf-2, mit deren Manipulation andere Forscher schon zuvor hyperalte Fliegen und Fadenwürmer gezüchtet hatten. Diese winzigen Würmer leben normalerweise nur zwei Wochen; doch als Cynthia Kenyon von der University of California das Daf-2-Gen ausschaltete, erlebte sie eine Überraschung: Ohne Daf-2 wurden die Würmer doppelt so alt. Die Forscherin taufte es „Sensenmann-Gen“.
Seither gilt als bewiesen, dass die Lebensspanne aller Tiere, auch des Menschen, unter der Herrschaft der Gene steht. Dass genetische Programme die Lebenszeit diktieren, hatte als Erster Michael Rose mit einem genialen Experiment bewiesen. Er räumte in seinen Fliegenkäfigen stets die frisch gelegten Eier fort – so lange, bis die meisten Tiere vergreist und impotent waren. Nur die letzten fruchtbaren Exemplare, die dem Alter getrotzt hatten, durften sich fortpflanzen. Mit deren Nachkommen wiederholte Rose das Spiel immer wieder. Am Ende hatte der kalifornische Genetiker eine besondere Rasse im Käfig: „Es sind Superfliegen“, sagt er stolz.
Methusalemgene im Erbgut
„Sie sind kräftiger, widerstandsfähiger und noch völlig gesund, wenn normale Fliegen längst auf dem letzten Loch pfeifen.“ Die Evolution, deren Wirken er mit seinem Züchtungsexperiment simuliert hatte, „könne die Muster des Todes neu ordnen“, folgerte Rose, das Sterben sei nicht zwangsläufig. Sein Befund, 1991 veröffentlicht, markierte eine Zeitenwende. Aus dem bis dahin desperaten Feld der Altersforschung, dem „Felsen, an dem Forscher ihre Karrieren zerschmetterten“ (Rose), wurde über Nacht eines der heißesten Forschungsgebiete der Biologie.
So durchforsteten die US-Genetiker Annibale Puca und Thomas Perls die Erbanlagen von 308 Hochbetagten aus 137 Familien nach Methusalem-Genen. Einen ersten Erfolg können die Forscher bereits verbuchen: Eine Genvariante, die den Uralten ihr außergewöhnlich langes Leben schenkt, muss in einer kleinen Region auf dem Chromosom vier versteckt liegen.
Warum aber das Leben zwangsläufig endlich ist, weiß die Forschung immer noch nicht. Sind Leben und Tod doch so untrennbar verwoben, dass der Kampf gegen den Verfall nur zu einem Pyrrhussieg führen kann? Keineswegs, lautet die hoffnungsfrohe Antwort der Altersforscher, die Evolution verlange gar nicht, dass wir sterben – sie hat für Unsterbliche nur keine Verwendung. Im Prozess von Mutation und Auslese werden Erbanlagen gefördert, die ein Lebewesen gesund erhalten, bis es sich fortgepflanzt hat. Doch ob die biologische Hülle der Gene danach noch weiterexistiert und in welcher Verfassung, spielt im Evolutionsgeschehen keine Rolle mehr. „Wenn wir leben – fein, wenn wir sterben – auch fein“, schrieb das US-Magazin Wired , „meist aber folgt der Verfall.“
Wirklich? Auch ohne Handreichung der Bioforscher scheint der Mensch auf dem Weg zur Methusalem-Rasse. Rekordalte, wie die Französin Jeanne Calment, die mit 122 Jahren, 5 Monaten und 14 Tagen starb („Ich habe nur eine Falte, auf der sitze ich“), oder die 116-jährige Chinesin und jetzige Topgreisin Du Pinhua sind noch seltene Ausnahmen. Doch das wird nicht so bleiben, prophezeien der Rostocker Altersexperte Max Vaupel und sein britischer Kollege Jim Oeppen. Seit 1840 steige die Lebenserwartung der Menschheit jährlich um drei Monate, rechneten die Demografen in Science vor. 40 Jahre habe die Menschheit seither gewonnen; ein Ende der Lebensverlängerung sei nicht in Sicht.
Dabei hat es in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, dem Menschenleben ein statistisch abgesichertes oberes Limit zu setzen. Der US-Forscher Louis Dublin prophezeite 1928 eine maximale Lebenserwartung von 64, 75 Jahren, „im Lichte gegenwärtigen Wissens und ohne den Einfluss radikaler Erfindungen oder fantastischer evolutionärer Veränderungen unserer Physiologie, die anzunehmen wir keinen Grund haben“. Damals betrug die US-Lebenserwartung 57 Jahre. Mit ähnlicher Methodik wiederholten Jay Olshansky und seine Kollegen den Versuch, das Ende der Fahnenstange zu beziffern. Sie landeten Anfang der neunziger Jahre bei 85 Jahren maximaler durchschnittlicher Lebenserwartung des Menschen. Beide Prognosen, notieren Vaupel und Oeppen süffisant, seien bereits wenige Jahre nach ihrer Veröffentlichung von der Realität überholt worden.
„Blind“ hingen die Kollegen der Zunft „der veralteten Vorstellung an, dass dem Menschen auch unter besten Bedingungen eine charakteristische Lebensspanne“ zugemessen sei, klagen die beiden Experten. Doch der beispiellose Altersanstieg erfolge völlig linear, nirgendwo seien Anzeichen für eine Abflachung der Zuwachsrate erkennbar. Bereits um 2060 dürfte die durchschnittliche Lebensdauer die 100-Jahre-Grenze durchstoßen, versprechen die Forscher. Damit käme man der Obergrenze von rund 120 Jahren, die bislang in der Altersforschung als biologisches Limit für das Menschenleben angesehen wird, bedenklich nahe.
Wie erstrebenswert aber ist die Hoffnung auf den 100. Geburtstag angesichts der Gefahr von Krebs, Demenz oder Schlaganfall? „Jeder will lange leben, bloß alt werden will keiner“, spottete schon der britische Schriftsteller Jonathan Swift. Im Lichte der Altersprognosen regt sich allenthalben die Befürchtung, schon bald könnten halbe Generationen als Pflegefälle in den Altersheimen verdämmern. Doch auch hier könnten die Skeptiker Unrecht behalten. Zwar nimmt der Anteil der Morbiden und Moribunden mit dem Alter ständig zu, bis jenseits der 60 die Todesrate durch Tumoren, Alzheimer und andere Altersleiden einen Höhepunkt erreicht. Doch wer das Alter von 95 Jahren einigermaßen gesund erreicht, das zeigen die Statistiken, besitzt meist genügend Härte, um auch die nächsten 20 Jahre im Vollbesitz der körperlichen Kräfte durchzustehen. So viel Ausdauer, mutmaßen die Fachleute, könnte durchaus vererbt sein. Denn auch die Kinder von 100-Jährigen leiden, sobald sie selbst ins hohe Alter kommen, nur halb so oft unter Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Diabetes und Übergewicht wie ihre Altersgenossen.
Wer nicht das Glück hat, aus einer Familie von 100-Jährigen zu stammen, dem bleibt vorerst nur die Hoffnung, durch gesunde Ernährung, Sport und zwei Glas Rotwein am Abend Altersleiden wie Diabetes oder Herzinfarkt vorbeugen zu können. Allerdings schützt man sich so eher vor vermeidbaren Erkrankungen. Die Hoffnung, dass durch einen gesunden Lebensstil auch die Uhr des Alterns langsamer ticke, ist eher trügerisch.
Wem all diese Bemühungen übertrieben erscheinen, der mag sich mit dem amerikanischen Komiker George Burns trösten. Gefragt, ob sein Hausarzt eigentlich von seiner ständigen Zigarrenraucherei wisse, demonstrierte Burns einst souveräne Verachtung der medizinischen Erkenntnislage. „Nein“, erwiderte der fast 100-Jährige, „der arme Kerl ist längst tot.“
Da der Text Uhrig lang ist hab ich ihn mal verpackt!
Ich finde es generell gut in diese Richtung zu forschen aber ist es nicht ein wenig problematisch, wenn alle Menschen so viel länger leben (Überbevölkerung etc.)
Obwohl ich es begrüßen würde wenn ich laaaange Zeit zu leben hätte!
Also heißt es hungern und Orangen essen
Und vill bekomme ich ja doch noch meine Unsterblichkeit§nyar